Von einem unserer Helfer auf der "Pelagos" stammt dieser interessante Aufsatz über das Erlebnis mit Walen und Delphinen im Mittelmeer. Doch einmal auf Deutsch!
Wie ein blasses Lichtsignal schimmert die Blaswolke im sonnenglitzernden mediterranen Blau. Und so viel uns von den Walfängern alter Zeiten trennt – eines haben das Forscherteam der Pelagos und ihre freiwilligen Helfer mit ihnen doch gemeinsam: Um die Meeresriesen im kräuseligen Wellengang auszumachen, sind auch wir auf die wenigen, flüchtigen Zeichen angewiesen, die ihre Gegenwart an der Oberfläche ankündigen.
Schon bald können wir die Großwalart an der Form ihrer Blaswolke erkennen: Der in Wasserstaub gehüllte Atemstoß des Finnwals strebt senkrecht in die Höhe wie ein Fontänenstrahl. Zwei bis vier Mal tauscht der Bartenwal, mit bis zu 24 Metern das zweitgrößte Tier der Erde, die Luft in seinen riesigen Lungen aus, ehe er aus seiner schlängelnden Auf- und Abtauch-Bewegung wieder in die Tiefe schneidet. Nicht mehr als ein nassglänzender, langer schwarzer Rücken mit spitzer Finne ist sekundenlang über Wasser zu sehen, unter Wasser zeichnet sich die Masse des Wals als türkisgrüner Schatten ab
„So könnten die alten Seefahrer ihre Vorstellungen von Seeschlangen und Meeresungeheuern entwickelt haben“, erklärt Francesca. Die auf Pottwal-Forschung spezialisierte Bioakustikerin macht uns denn auch schnell mit dem Erscheinungsbild des größten aller Zahnwale vertraut: Stäubt der „Blow“ als schräg abgesetztes Büschel über die Dünung, lautet unsere aufgeregte Meldung: „Sperm whale!“, englisch für Pottwal. Sein Auftauchen hatten wir bereits erwartet, nachdem die ratternden und klackernden Echo-Klicks im Hydrophon verstummt waren. Der Pottwal hat seine Jagd nach Tintenfischen in der Tiefsee beendet und beginnt seinen wellenförmigen Aufstieg zur Oberfläche. Sichtkontakt in etwa drei Minuten erwartet.
Nun beginnt die intensive Arbeit unserer wissenschaftlichen Gastgeber, nun zeigt sich spätestens, dass wir an keiner Vergnügungs-Whalewatching-Tour teilnehmen. Der Alltag an Bord der Pelagos ist für „researchers“ wie „volunteers“ der Erforschung der Wale und Delfine im Pelagos Sanctuary zwischen der ligurischen und tyrrhenischen Küste Italiens sowie der Nordspitze Sardiniens gewidmet. Mit Feuereifer lenken die Gäste auf dem Vorderdeck und auf der Beobachtungsplattform unseren Kapitän Paolo in die richtige Annäherungsposition – „One o´ clock!“ – „Alle due!“ wird der Horizont nach dem Zeigersystem der Uhr eingeteilt. Freilich müssen wir den Motorsegler vorsichtig an den Wal heransteuern, um ihn nicht zu verschrecken. Maschinenlärm – ein verhängnisvolles und nicht so bald wegzudenkendes Problem, das in der akustischen Welt der Seesäuger nicht vorgesehen war…
Francesca oder Giulia ist mit der Kamera zum Bug geeilt. Die Bilder werden später im Computer ausgewertet und jeder Pottwal individuell an Hautmarken oder Narben an seiner Fluke bestimmt, die sich beim Wieder-Abtauchen wie eine grüßende Hand tropfend aus den Wogen reckt. Verwässert sich hinter dem Wal eine braune Brühe mit der See, versucht Biologe José, halbverdaute Futterpartikel aus dem Kot zu käschern. Sie geben Aufschluss über die Nahrung der Pottwale im nordwestlichen Mittelmeer – und darüber, wie sich deren Zusammensetzung unter den vielfältigen menschlichen Umweltbeeinträchtigungen verändert.
Auf unserer fünftägigen Reise mit der Pelagos, dem Forschungsschiff des Istituto Tethys, von 13. bis 19. August 2012, konnte ich erfahren, welche biologischen Reichtümer sich im offenen Meer sowie in den Tiefseegräben vor mondänen Touristenstädten wie Sanremo verbergen. Ein System von Aufsteigströmungen versorgt die mittleren und oberen Wasserschichten des Ligurischen Meeres mit Nährstoffen und setzt ein üppiges Plankton-Wachstum in Gang, von dem eine komplexe Lebensgemeinschaft profitiert. Neben acht regelmäßig vorkommenden Wal-Arten gehören dazu Unechte Karettschildkröten, Grüne Meeresschildkröten und Mittelmeer-Sturmtaucher, Verwandte der Albatrosse, die wir mehrmals auf den Luftströmungen zentimeterdicht oberhalb der Wellen dahin segeln sahen. Doch selbst die wenigsten Anwohner wissen, dass Wale unterschiedlicher Größe wenige Meilen von den dicht belagerten Badestränden und dröhnenden Strandbars entfernt ums Überleben kämpfen.
Es sieht nach heiler Welt aus, nach Harmonie mit der Natur, wenn Streifendelfine sich in die Bugwelle der Pelagos oder eines in der Nähe auftauchenden Finnwals hängen, in anmutigem Bogen und aquadynamischer Perfektion ihre namengebenden Muster zeigend. Lebensfreudig wirken die Pirouettensprünge Gemeiner Delfine, auch wenn sie nur Parasiten wie Walläuse an der Wasserfläche abstreifen – oder empfinden die Tiere manchmal Freude an ihrer eigenen Beweglichkeit und Schnelligkeit? Über eines kann die Akrobatik jedenfalls nicht hinweg täuschen: Die Giftstoffwerte im Fettgewebe der Mittelmeerdelfine sind zehn- bis zwölfmal höher als bei ihren Artgenossen im Atlantik. Sie bewohnen eine der dichtestbefahrenen und verschmutztesten Meeresregionen der Welt und leben von dem, was mengenweise auf den Tellern menschlicher Feinschmecker landet. Ohne durch den ewigen Tanz der Wellen blicken zu können, beschleicht mich das Gefühl, dass wir bereits in einem Zeitalter leerer Meere leben. Dass der blaue Planet zu Land wie zu Wasser längst bis über seine Grenzen belastet ist.
Nicht nur lehrreich war der Trip, sondern auch unterhaltsam, gesellig und ganz einfach schön: die leckeren selbst zubereiteten Mahlzeiten an Bord, das Feuerwerk, das am Nachthimmel über Sanremo Ferragosto einläutete, das Ankern in einer Bucht vor der französischen Küste. Mittags das Schwimmen in der warmen blauen Hochsee – tausend Meter Wasser unter uns (und keine Pottwale um uns, wie wir vorsichtshalber sichergestellt hatten). Angenehmerweise auch „no jellyfish“, wie José in den regelmäßig eingeschobenen Beobachtungsminuten feststellte, die Informationen über die zunehmende „Verquallung“ des Meeres erbringen sollen. In einer leergefischten Umwelt und veränderten Nahrungsnetzen sind diese nesselnden, aber filigranen Wunderwerke der Natur auf dem Vormarsch.
Doch haben unsere Gastgeber uns auch Tipps auf den Weg gegeben, wie jeder einzelne von dem gefährdeten Ökosystem Mittelmeer ein kleines Quentchen Belastung wegnehmen kann: biologisch abbaubare Shampoos, Duschgels, Waschlotionen und Spülmittel verwenden, wie sie selbstverständlich auch auf der Pelagos benutzt werden. Keine Tunfisch-Produkte mehr, kein Sushi und möglichst keinen Meeresfisch, zumal viele Arten die Schadstoffe über ihr Fettgewebe in den menschlichen Körper zurückbringen. Und wer eine Fähre nach Korsika nimmt, sollte Zeit für die Überfahrt mit einem langsameren Schiff mitbringen. Denn bei geringerem Tempo haben Delfine, Wale und Schildkröten noch die Möglichkeit, den Schrauben auszuweichen.
Dr. Anton Vogel